Auch die Anlageexperten wissen nicht, was ihnen der „Herbst der Entscheidungen“ bescheren wird. Dank der Geldpolitik bleiben die Märkte aber eher zuversichtlich.
Internationale Anleger setzen weiter auf die (Liquiditäts-)Unterstützung durch die führenden Notenbanken, insbesondere durch die Fed. Mit anderen Worten: Man setzt weiterhin auf eine expansive Geldpolitik, was Aktien und Renten begünstigt und ebenso Gold Allzeithochs erreichen lässt. Hält die Stimmung bis Jahresende, so ließe sich locker ein Ergebnis von Dax 20.000 und Gold 3.000 realisieren – oder?
Aber die Politik – national wie global! Hier bleiben die Entscheidungen unberechenbar, ob es um die künftige Präsidentschaft in den Vereinigten Staaten oder die Berliner Ampelregierung geht. Und wie geht es im Nahen Osten weiter? Positives kommt momentan nur aus Fernost, wo die politische Führung – vor allem in China – massiv gegen die aktuelle Schwäche der Volkswirtschaft vorgeht.
Zinssenkung der Fed irritiert Analysten
Wie üblich war die Marktreaktion auf die jüngste Fed-Zinssenkung recht gemischt. Und wieder einmal bestätigte sich, dass sich Markt-Timing bezüglich Aktionen der Federal Reserve nicht lohnt. „Die Aktienmärkte haben endlich das erhalten, was sie sich so lange gewünscht haben“, resümiert Thomas Grüner, Vice Chairman von Grüner Fisher Investments. „Die Schlagzeilen hatten jedoch Schwierigkeiten, sich zwischen einer Interpretation als gutes oder schlechtes Zeichen für die globalen Aktienmärkte zu entscheiden.“ Sind es nun die sinkenden Zinsen, welche die Wirtschaft und Aktienmärkte antreiben? Oder eben doch ein Warnsignal, dass die Fed große Probleme voraussieht und daher die Zinsen senkt? „Unser Vorschlag lautet: Drehen Sie den Lärm runter. Es existiert kein Hinweis darauf, dass eine Senkung des Zinses um 50 Basispunkte auf neue Probleme verweist“, so der Experte. „Die Fed hat keine besondere Prognosefähigkeit und Märkte haben bereits bewiesen, dass die Auswirkungen der Zinsentwicklung wesentlich geringer sind, als viele glauben.“
Die langfristige Perspektive zählt
Legionen von Analysten beobachten jedes Wort der Fed-Mitglieder genau. Viele Marktteilnehmer wollten niedrige Zinsen und haben sie nun bekommen. Doch gleichzeitig mangelte es nicht an Kommentaren, welche Probleme die Fed in der kommenden Zeit sieht, insbesondere an der Arbeitsmarktfront. Die Prognosen bis Jahresende seien somit mit weiteren Zinssenkungsfantasien versehen worden. Andere Experten hätten auf die letzten Zinssenkungszyklen aus den Jahren 2001, 2007 und 2020 verwiesen, welche allesamt innerhalb von Bärenmärkten stattgefunden hätten.
„Seit Beginn der Zinserhöhungen wird vor allem die Stimmung maßgeblich beeinflusst“, resümiert Grüner. „Schon früh konnte die Weltwirtschaft trotz aller Unkenrufe ihre Resilienz gegen höhere Zinsen unter Beweis stellen.“ Da steigende Zinsen nicht die negative Schlagkraft entfalten konnten, die alle befürchteten, seien sinkende Zinsen auch nicht grundsätzlich positiv. Viel eher würden sich Marktbeobachter an Interpretationen versuchen, die tendenziell sinnlos seien. „Die Fed agiert viel eher rückwärts- als zukunftsgerichtet. Daher drehen Sie den Lärm runter und genießen Sie den laufenden Bullenmarkt – die Fed wird ihn aktuell nicht unterbrechen.“
Wirtschaftsschwäche belastet Aktien kaum
Die aktuelle Schwächephase der deutschen Wirtschaft macht dem Index scheinbar kaum zu schaffen; die gelisteten Firmen erwirtschaften im Schnitt nur ein Fünftel ihrer Umsätze im Inland. Auf Europa insgesamt entfallen knapp die Hälfte der Umsätze, auf Asien-Pazifik und Nordamerika jeweils noch mal gut 20 Prozent. Im nächsten Jahr dürfte das Wachstum in Asien-Pazifik gut 4 % betragen; Nordamerika und Europa sollten jeweils um knapp 2 % Prozent wachsen. In Westeuropa – also dem Teil des Kontinents, in dem die Dax-Unternehmen das meiste Geschäft machen – dürfte die Wirtschaft nach mageren 0,8 % in diesem Jahr 2025 um satte 1,5 % wachsen. Im Kielwasser des Wirtschaftswachstums könnte der Dax bald die Marke von 20.000 Punkten durchbrechen, schreibt mir Ulrich Stephan, Chefanlage-Stratege der Deutschen Bank.
Geduld ist angesagt
Thomas Meier, Portfoliomanager bei MainFirst Asset Management, rät: Geduld ist eine Tugend – auch an den Börsen – und hat eine Handvoll Argumente. Anleger sollten abwarten und die Herbststürme an den Aktienmärkten für sich nutzen. Denn Volatilität eröffnet Chancen: Der Börsensommer ist turbulent verlaufen. Zwar notierten die Aktienmärkte in der Nähe ihrer Allzeithochs, doch die Aussichten der Marktteilnehmer und Unternehmen haben sich eingetrübt. Insbesondere der Technologietrend mit Fokus auf künstliche Intelligenz hat sich merklich abgekühlt. Hinzu kam der technische Abverkauf in Asien aufgrund des Yen-Carry-Trades. Auch wenn sich die Märkte innerhalb kurzer Zeit wieder erholt haben, hat die Sensibilität und damit auch die Volatilität an den Märkten seit der Pandemie deutlich zugenommen. Dies hängt neben technischen Faktoren, wie der Marktkonzentration, auch von politischen Rahmenbedingungen ab.
Anstehende Zinssenkungen sind ein Silberstreif am Horizont: Die Inflation hat sich stabilisiert, und die Zinsen sinken – ein Hoffnungsschimmer für die Wirtschaft. Sowohl die Europäische Zentralbank als auch die US-Notenbank haben erste Zinsschritte vorgenommen. Trotzdem überwiegt derzeit die makroökonomische Unsicherheit. Gerade Deutschland, einst das Powerhouse der europäischen Wirtschaft, schwächelt: Die Automobilbranche kämpft ums Überleben, und das schwache globale Wachstum setzt den Unternehmen weiter zu. Die anstehenden Zinssenkungen von EZB und Fed werden die Wirtschaft zeitverzögert unterstützen. Dies verstärkt die Attraktivität der Einstiegsmöglichkeiten.
Herausfordernde Standortfaktoren erfordern mitunter drastische Lösungen: Aktuell überwiegen die wachstumshemmenden strukturellen Probleme in Europa. Erfolgreiche Unternehmen passen sich den Rahmenbedingungen an, auch wenn diese für den Standort schmerzhaft sind. Die Pandemie hat die Unternehmensbilanzen einem Fitnessprogramm unterzogen und der Ukraine-Konflikt hat das Thema der Energieversorgung in ein neues Licht gerückt.
Unternehmen haben ihre Hausaufgaben gemacht: Investoren sollten sich trotz allem nicht abschrecken lassen. Denn sie können sich aktuell zu günstigen Bewertungen an Unternehmen beteiligen, die zwar zyklisch eine anspruchsvolle ökonomische Phase durchmachen, aber ein langfristig erfolgversprechendes Geschäftsmodell haben. Viele Unternehmen haben die vergangenen Krisen aktiv genutzt, um ihre Hausaufgaben zu erledigen und sich auf herausfordernde Zeiten einzustellen.
Wie gesagt, die Langfristperspektive entscheidet: Ein viel beachtetes Zitat von Warren Buffett belegt, dass sich der Börsen-Guru in Geduld übt: „Die Börse transferiert Geld von den Ungeduldigen zu den Geduldigen.“